22 April 2008

Wie ist es, eine Chemotherapie zu machen?

Ich denke, ich möchte mal wieder etwas über die Erfahrungen mit meiner Erkrankung schreiben und darüber, wie es ist, eine Chemotherapie gegen einen bösartigen Hirntumor zu machen, da ich den Eindruck gewinne, dass reihum vergessen wird, wie ich eigentlich zu leben habe. Ich schreibe ausdrücklich NICHT "...wie ich lebe.", weil ich es mir nicht aussuchen konnte, ob ich mein Leben so leben will, wie ich es jetzt muss.

Auch, wenn ich mich bereits (halbwegs) darauf eingerichtet habe, dass ich eine als unheilbar geltende, chronische, lebensverkürzende Krankheit habe. Ist es doch nicht so, das ich das "mit einer Backe absitze". Es ist wohl etwas flapsig formuliert eher so, dass "mein Leben recht überschaubar geworden ist." Wenn es mir bei meiner Art Humor auch niemand glauben will: ich leide. Auch wenn's pathetisch klingt.

Oder wie würdet Ihr die folgenden Sätze deuten?...

In letzter Zeit ging es mir (den Umständen entsprechend) relativ gut.

Abgesehen von den 17 fokalen epileptischen Anfällen in den letzten 32 Tagen, trotz der 2x1500 mg Keppra-Tabletten pro Tag, die ich dagegen (standardmässig) nehme, hatte ich keine größeren Probleme.

Wahrscheinlich bilde ich mir nur ein, dass ich über Minuten nicht sprechen kann, obwohl ich es will. Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein, dass ich extreme Konzentrationsstörungen habe und bei jedem Anfall über mehrere Minuten nicht fähig bin, eine simple Entscheidung zu treffen. Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein, wenn ich unter der Dusche stehe und in Gedanken "Santa Claus Is Coming To Town" singe und dabei "hängen bleibe" und den Text zwanghaft bis zu Ende singen musss.

Abgesehen von der Übelkeit und Verstopfung während der 5 Tage Temodal-Einname und der Ungewissheit über die Langzeitfolgen einer Chemotherapie (sofern ich die noch erlebe), geht es mir gut.

Abgesehen davon, dass ich mir fast jeden Tag plötzlich und unvermittelt mehrfach die Tränen kommen, sobald mir bewusst wird, dass ich mit meiner Diagnose eine durchschnittliche Überlebenszeit von 2-5 Jahren habe, geht es mir gut.

Abgesehen davon, dass ich zwar versuche, halbwegs positiv zu denken und mein Leben als bildender Künstler so "normal" wie möglich zu leben, es aber wegen der Anfälle, der Chemotherapie, der wöchentlichen Blutbildkontrollen und Psychotherapie, des andauernden Papierkrieges um Leistungen, die mir EIGENTLICH zustehen, der ständigen Amts-Nachfragen, ob ich denn noch krank bin, des Nicht-Glaubens, dass ich eine lebensbedrohende Krankheit zu ertragen habe, nicht kann, geht es mir gut.

Abgesehen davon, dass ich jedem/r auf die Finger sehen muss, ob er/sie auch das tut, was er/sie tun soll - nämlich als eine(r) der zahlreichen ÄrztInnen, PflegerInnen, SozialarbeiterInnen, Sozialversicherungsfachangestellten, Krankenhausangestellten, Arbeitsamtsangestellten, Sozialamtsangestellten, LVA-Angestellten, Angestellten der GEZ (die nebenbei bemerkt allesamt ein Vielfaches meines "üppigen Einkommens" von 347 Euro im Monat verdienen), einfach ihren Job zu tun, geht es mir gut.

Abgesehen davon, dass meine Menschenwürde beim Sozialamt jedes mal auf's Neue mit Füssen getreten wird, obwohl doch im Grundgesetz der BRD steht, dass die Würde des Menschen unantastbar sei, geht es mir gut.

Abgesehen davon, dass ich bis zum 30.4.08 die fehlenden Unterlagen für meinen Sozialhilfeantrag abgeben soll und der Zuständige Herr bis einschließlich 27.04.2008 Urlaub hat, geht es mir gut.

Im Grunde geht es mir so gut, dass mir fast die Sonne aus dem Allerwertesten scheint. Man möchte es gar nicht glauben, so gut geht es mir. Im Grunde muss man schon neidisch sein auf mich, weil ich so eine Chance erhalten habe, wie diesen bösartigen Hirntumor, der sich so wunderbar zum Faulenzen eignet und der so eine wunderbare Ausrede ist, warum ich nicht arbeiten kann.

Und dann mache ich das alles auch noch so erfolgreich zum Material meiner Arbeit, dass ich in einem Offspace in Wien ausstellen kann, zu dem sich nicht mal meine ehemaligen ProfessorInnen bequemen, zu kommen, weil er denen zu unbekannt ist (?) obwohl sie mir mündlich zugesichert hatten, dass sie die Ausstellung "ganz bestimmt" sehen wollen.

Mir geht es so gut, dass ich sicher bald berühmt bin, wenn ich nur die nötige Geduld aufbringe oder wenn ich tot bin.

Mir geht es so gut, dass ich sicher überleben werde, wenn ich nur fest genug daran glaube.

Mir geht es so gut, dass mir Gott schon helfen wird, wenn ich nur fest genug daran glaube und bete.

Mir geht es so gut, dass ich ja glücklich sein muss, dass es mir nicht noch schlechter geht.

Mir geht es so gut, dass ich mir von so einem dahergelaufenen Zyniker, wie diesem Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin vorrechnen lassen muss, mit wie wenig Geld ich mich "vollwertig und gesund" ernähren könne. Nur, dass ich dann kein Geld für Medikamente ausgeben darf, weil ich sonst beim essen halt den Gürtel ein wenig enger schnallen muss.

Mir geht es so gut, dass ich frage, wie ich ohne diese Krankheit jemals so etwas wie Glück emfpinden konnte. Ich bekomme doch alles von ihr von vorne und hinten reingesteckt.

Ich möchte Euch, lieben "Freunden" danken! Wenn ich solche Freunde habe, brauche ich mir immerhin keine Feinde zuzulegen. Nicht, dass ich das nicht könnte. Das ist nicht schwer.
Es wird sich bestimmt jemand darüber aufregen wollen, wie ich Euch hier in diesem Blog anrede, beleidige, vorführe. Aber fasst Euch ander eigenen Nase und fragt Euch: wollt Ihr mit mir tauschen?

Wenn es ginge, ich würde meine Krankheit gerne abgeben und arbeiten gehen. Jeden Idiotenjob. Ich war und bin mir auch zum Kloputzen nicht zu schade. Auch wenn es Verschwendung wäre einen Menschen mit drei sehr gut abgeschlossenen Ausbildungen, der mehrfach an Hochbegabtenförderungen und Preisen "knapp vorbeigeschrammt" ist, so eine Arbeit machen zu lassen. Aber wenn die Kohle stimmt, putz ich Euch auch die Scheisse aus den Klos in Parkhäusern. (Das habe ich schon mal getan als Ferienjob am Anfang meines Studiums).

Nur leider bekomme ich dafür nicht mehr Geld als ich mit Hartz IV bekommen würde - wenn man es mir weiter zahlen und mich nicht zur Sozialhilfe abschieben würde, wo ich alles nochmal belegen muss. Wo ich noch mal "beweisen" muss, dass ich Krebs habe. Und wo "Vermögensgrenzen" von 2600 Euro für Erwerbsunfähige gelten, bevor das Sozialamt auch nur einen Cent herausrückt.

Aber wir Krebskranken sind halt Sozialschmarotzer. Das muss die Gesellschaft eben aushalten. Wir haben immer eine feine Ausrede parat, warum wir nicht abreiten gehen können, nicht?

So, genug gejammert. Jetzt wird wieder positiv gedacht. Sonst werde ich noch so bösartig wie mein Tumor...

3 Kommentare:

Alexandra hat gesagt…

Hallo Gerd,
mein Freund (31) hat am 29.02.08 ebenfalls die Diagnose Oligodendrogliom II bekommen. In der 12stündigen OP am 11.03. stellte man fest, dass er ebenfalls schon teilweise zu Grad III entartet und anaplastisch ist. Er hat bisher "Glück" gehabt und die OP gut überstanden, keine Ausfälle danach, keine Reha nötig, keine Epi-Anfälle. Chemo(Temodal)und Bestrahlung sind momentan in Vorbereitung. Ich habe ihm vorgeschlagen, auf deiner Seite mal vorbeizuschauen, weil es ihm vielleicht "helfen" könnte über jemanden zu lesen oder sich sogar mit jemanden auszutauschen, der dieselbe Diagnose hat. Nun ja, er mag sich aber nicht so gerne mit dem Thema beschäftigen. Dafür sammel ich alle Informationen, die ich bekommen kann.
Deinen heutigen Eintrag hab ich mit Bauchweh gelesen, weil er schon "krass" formuliert ist aber an deiner Stelle, hätte ich persönlich das wohl auch so geschrieben. Es ist richtig, sich mal so richtig auszulassen. Ob mit oder ohne diese Diagnose, wir sind alle trotzdem noch Menschen. Doch das geht leider in Extremsituationen verloren.
Viele Grüße
Alexandra

Gerd Gerhard Loeffler hat gesagt…

Teurste Kommentatorin, ich fühle mich geehrt ob der vielen Aufmerksamkeit, die ich von Dir erhalte. Ich habe in einem viiiieeeeeel fürheren Post übrigens einmal die Knigge-Regeln mit dem Sie und dem Du über Bord geworfen und mich für die Pauschalanrede des Dus entschieden.

Damit werden nun alle LeserInnen meines Weblogs leben müssen ;)

Logischerweise ist es daher auch nicht nötig, mich zu "Siezen". Es ist nicht nur nicht nötig, nein ich verbitte es mir geradezu ;D

Die Welt ist steif genug. Ich hab schon ein Loch im Hirn (das meine ich wörtlich), da brauch ich nicht auch noch einen Stock im A****.

Ende der Durchsage.

Alexandra hat gesagt…

!!!Entschuldigung!!!
Merke mir: Siezen ab sofort verboten ;-)Stimmt schon, Stöcke im Pöppes tun auch weh, sind gar nicht angenehm...pfui *lach*